Geschichtlicher Hintergrund zur Entstehung der Albergue

a) Allgemeine gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Von diesen Missständen ist besonders die Bevölkerung pommerscher Abstammung im Gebiet um Santa Maria de Jetiba betroffen, die auch 130 Jahre nach der Auswanderung aus Deutschland ihre ursprüngliche Sprache, Kultur und Anbautechnik pflegt. Mitte des letzten Jahrhunderts besiedelten sie das gebirgige Hinterland und bauten kleine Gemeinden mit eigenen Schulen und Kirchen auf. Diese Kirchen und Gemeinderäume sind bis heute lebendiger Mittelpunkt für die Gemeindemitglieder. Durch den fehlenden Kontakt nach außen erlernten sie aber die Landessprache portugiesisch nicht.

 

Spritzmittel

Um ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern, beteiligten sich die deutsch-stämmigen Kleinbauern am Anbau von Kaffee und Blumen für das Exportgeschäft.
In den siebziger Jahren wurde in der Landwirtschaft der Gebrauch von Pestiziden eingeführt. Regierungsbehörden boten die Spritzmittel als „Medizin“ für die Pflanzen an, versäumten aber (bewusst oder unbewusst) auf die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen hinzuweisen. Warnhinweise auf den Verpackungen waren auf portugiesisch und somit für die Landarbeiter unlesbar. Gutgläubig benutzten sie die gefährlichen Spritzmittel, die in Europa längst verboten waren.

Hautkrebs

Diese Pestizide und die starke Sonneneinstrahlung bewirkten in der Folge ein gehäuftes Auftreten von Hautkrebs und anderen Krebserkrankungen. Weder die Ärzte noch die Krankenhäuser im Landesinneren waren darauf vorbereitet. So waren die Erkrankten gezwungen, zur Behandlung nach Vitória zu kommen. Hier erwies sich die Unkenntnis der Landessprache als nahezu unüberwindliche Schwierigkeit. Sie konnten weder die Straßenschilder lesen, noch sich mit dem Krankenhauspersonal und den Ärzten unterhalten. Eine detaillierte Schilderung von Krankheitssymptomen und Ursachen unterblieb folglich - was eine angemessene medizinische Behandlung unmöglich machte.

b) Herausforderung für die evangelische Kirchengemeinde

In dieser schwierigen Situation kamen auf die Pfarrer der Kirchengemeinde neue Aufgaben zu. Sie mussten Krankentransporte organisieren, sich um die Unterbringung der Menschen in Vitória kümmern und den Kranken im Krankenhaus zur Seite stehen. Das war nur mit freiwilligen Helfern möglich, die ihre Fahrzeuge zur Verfügung stellten, als Dolmetscher tätig waren und Patienten beherbergten.
Auf der Versammlung des Südbezirks der evangelischen Kirchengemeinden von Espirito Santo in Barracaõ im Mai 1981 stellte die Gemeinde Rio Possmoser den Antrag einen hauptamtlichen Helfer einzustellen. Dessen Aufgabe sollte es sein, die Kranken zu begleiten, bei der Unterbringung und den ärztlichen Untersuchungen zu helfen und Kontakte zu Ärzten und Krankenhäusern herzustellen. Darüber hinaus sollte dieser Mitarbeiter dafür sorgen, dass die Kranken gut betreut und über alle Gefahren im Umgang mit Pestiziden aufgeklärt werden. Die Unkosten dieser Arbeit - so sah es dieser Antrag vor - sollte durch einen jährlichen Beitrag der Gemeindemitglieder gedeckt werden. Diesem Antrag wurde stattgegeben. Die Gemeinde von Vitória erklärte sich außerdem bereit, die Kranken bei Gemeindemitgliedern aufzunehmen.

Wartende

Die ganze Arbeit sollte zur Bewusstseinsbildung der Bevölkerung beitragen und über die strukturellen Schwierigkeiten des Landes und die Ungerechtigkeit gegen die einfache Landbevölkerung aufklären.

c) Erste bescheidene Anfänge
Die Unterbringung bei Gemeindemitgliedern konnte nur eine Zwischen-lösung sein und so wurde im Stadtteil Ipessa von Vila Velha ein Holzhaus gemietet, später kamen 2 weitere Häuser dazu.
1983 wurde in der Nähe der großen Kliniken von Vitória ein Haus gekauft, zusätzliche Mitarbeiter wurden angestellt und ein Fahrzeug angeschafft. Den Kauf des Hauses ermöglichten Spenden der Kirchenmitglieder von Espirito Santo.
In der Folgezeit fanden Aufklärungsveranstaltungen statt, um der Bevölkerung die Gefährlichkeit des Einsatzes von Pestiziden und die Möglichkeiten des Schutzes vor der Sonneneinstrahlung zu zeigen.
Im September 1987 wurde das Aufgabengebiet erweitert, um die medizinische Versorgung der Landbevölkerung zu verbessern. Die Universität stellte einen VW-Bus zur Verfügung, mit ihm konnten ein Dermatologe und 6 Medizinstudenten in die Landgemeinden fahren um vor Ort Vorsorgeuntersuchungen durchzuführen.
Im Jahr 1983 wurde die Betreuung der Arbeit in der Albergue dem Ehepaar Arlindo Lagass und Evenira Rainholz Lagass übertragen. Sie stammen aus Vila Pavaõ im Norden von Espirito Santo und waren ursprünglich Landarbeiter. Beide haben sich fortgebildet und stehen heute ganz im Einsatz für die Albergue und die Menschen, die sie betreut.